Reise durch Ruinen von George Orwell gelesen

Wie bereits bei Emily Brontës Sturmhöhe neulich, habe ich auf Literal.club ein paar Highlights gesammelt, während ich Reise durch Ruinen von George Orwell las. Diese fasse ich hier zusammen, was aber nur ein paar Stichpunkte ergibt, keine vollständige Rezension.

Gelesen habe ich die knapp 100 Seiten von Reise durch Ruinen Anfang Dezember 2021.

In diesem Buch bereist Orwell 1945 Deutschland und Österreich. Zu diesem Zeitpunkt liegt seine Frau im Sterben und stirbt auch, ohne daß Orwell ihre kurze, schwere Krankheit mit bekam. Er fährt kurz nach London, um sie zu beerdigen und macht sich dann sofort wieder auf den Weg ins bereits komplett besiegte Deutschland.

Zu diesem Zeitpunkt ist Orwell ein nicht besonders gut bekannter Journalist. Die Farm der Tiere ist bereits veröffentlicht, wenn auch wenig beachtet. Sein opus magnum wird er erst kurz vor seinem Tod Ende der 40er Jahre veröffentlichen, und 1984 wird dann auch den Rest seiner Werke berühmt machen.

In Deutschland schaut er sich den Zustand des Landes ebenso an wie den Zustand der Besiegten und Befreiten. Einiges, was er dabei erfährt, wird später in 1984 eingehen. Orwell ist aber sehr neutral und unvoreingenommen den Deutschen gegenüber. Ich vermute, die abgrundtiefe Abneigung vieler anderer Soldaten der britischen und amerikanischen Armee sowie insbesondere der Franzosen gegenüber den Deutschen bringen Orwell dazu, sie nicht auch zu hassen.

Auf S. 58 findet sich dieses Zitat über den Sinn von Rache:

Aber was diese Szene und manches andere, was ich in Deutschland gesehen habe, mir klarmachte, war die Tatsache, dass die ganze Vorstellung von Rache und Bestrafung nur ein kindischer Tagtraum ist. Genau genommen gibt es gar keine Rache. Rache ist etwas, das man sich vorstellt, solange man ohnmächtig ist und weil man ohnmächtig ist. Sobald das Gefühl der Ohnmacht vorbei ist, verschwindet auch dieser Wunsch.

Die Hervorhebung stammt von mir.

Ich mag richtige Kriegsberichterstattung, wie z.B. von John Hersey (Into the Valley oder Hiroshima), sehr gern und finde diese beiden Büchlein von Hersey eigentlich auch besser geschrieben als das vorliegende Buch von Orwell (was aber durchaus an der Übersetzung liegen kann).

Aber George Orwell hat ja hier auch weniger direkt vom Krieg als von seinen Folgen für die Zivilbevölkerung berichtet. Und die sind immens, aber unterschiedlich verteilt: alle Städte sind komplett zerbombt, die meisten Dörfer aber komplett intakt. Die schwersten Schäden haben Brücken erfahren, bei denen Orwell annimmt, daß es zwischen Paris und Berlin keine einzige mehr gibt, und die Städte, Dörfer, Landschaften, um die im Bodenkrieg gekämpft wurde. Diese Bereiche sind komplett ausgelöscht.

Visionär wird Orwell allerdings, was die Vorhersagen für die Weltordnung nach dem 2. Weltkrieg angeht. Er zieht Resümee, daß kleine Staaten sich nicht genügend mit modernen, hochkomplizierten Waffen eindecken können und demzufolge in die Einflußsphäre großer Staaten geraten, denen sie unterlegen sind. An großen Staaten bleiben nach diesem Krieg nur USA, Großbritannien und die Sowjetunion übrig - und Großbritannien findet sich in einer Lage, die es seinen Großmacht-Status kosten wird. Somit sagt Orwell den Kalten Krieg voraus und ist in dieser Hinsicht vergleichbar mit John Maynard Keynes’ Krieg und Frieden. Die wirtschaftlichen Folgen des Vertrags von Versailles.