Die Natur beherrschen

Während eines Frühstücks habe ich mit meinem Sohn in dem Buch Die Anfänge der Menschheit von Dr. Alice Roberts geblättert.

Im Vorwort stieß ich auf diesen Satz:

Dieses Buch soll nicht die Geschichte unseres Aufstiegs zu einem Wesen erzählen, das gelernt hat, die Natur zu beherrschen.

Was da steht, enthält die Wurzel allen Übels, finde ich.

Gehört das wirklich uns?

Dieser Satz beinhaltet einen riesigen Denkfehler, der zum einen zeigt, wie kolossal wir uns selbst überschätzen und zum anderen unsere zerstörerische Haltung zur Natur rechtfertigen hilft. Es geht natürlich um gelernt hat, die Natur zu beherrschen. Das ist einer der zentralen Denkfehler der Menschheit und wie die Fehler der Menschheit so sind, ist dieser Fehler auch gleich mehrschichtig.

In den dominanten Religionen schenkt Gott uns die Welt. Wir sind die Spitze der Schöpfung und die Natur gehört uns. Wir beherrschen die Natur also, wie es auch Dr. Roberts im Vorwort ihres Buches formuliert. Wir können damit machen, was wir wollen. Was wir ja auch tun, wie man sieht.

Besser für uns alle wäre es gewesen, in den Büchern der großen Buchreligionen stünde, Gott hätte uns die Natur / die Erde nur zur Verfügung gestellt. Und am Ende wird er/sie bewerten, wie wir damit umgegangen sind. Und eventuell, und so sieht es definitiv gerade aus, wird dann auch eine Kaution fällig.

Oder wir würden lernen, die Natur als vorübergehend zur Verfügung gestellt zu betrachten, uns verliehen von den Generationen vor uns, und zwar allen Generationen aller Lebewesen, damit wir sie später an die Generationen nach uns weiter reichen. Auch das würde wahrscheinlich unsere Einstellung zur Natur, unseren Umgang mit ihr, etwas anders ausfallen lassen als das, was wir mit ihr machen, weil wir denken, sie gehört uns und basta!

Nur wer sich seiner bewusst ist, kann schlau sein?

Aber beherrschen wir die Natur auch wirklich? Wir bilden uns ja ein, das schlauste von allem Gewürm auf der Erde zu sein. Wir setzen Technologie ein und haben Bücher und das Internet. Wir haben Smartphones! Aber das sind alles menschliche Dinge - außer uns braucht die niemand, weswegen es auch nicht verwunderlich ist, dass wir die einzigen sind, die sowas entwickeln.

Wir sind so stolz auf unser Bewußtsein und testen, ob andere Tiere auf der Erde auch ein Bewußtsein haben - indem wir sie im Gesicht anmalen und in einen Spiegel schauen lassen. Erkennen sie den Fleck in ihrem Gesicht im Spiegel, und fangen an, an der Stelle zu reiben, die sie nur indirekt sehen, sprechen wir ihnen eine der Grundeigenschaften des Herrschers der Natur zu.

Aber was ist mit dem Maulwurf, der nicht gut kieken kann? Der hat also kein Bewußtsein seiner Selbst, weil er nicht in den Spiegel schauen kann? Was ist mit Elefanten, bei denen sich direkt anstarren als feindselig gilt? Die Viecher trauen sich nicht, in einen Spiegel zu schauen und drüber nachzudenken, ob das da sie selber oder sonstwer sind, weil sie Angst vor Gewaltausbrüchen haben. Was ist mit Fischen, die auch schlecht sehen können und viel mehr Informationen über ihre Seitenlinie einsammeln?

Was schließen wir schlauen Herrscher der Natur daraus? Alle doof, haben alle kein Bewußtsein, mit den Viechern kannst du machen, was Du willst.

Was sollten wir daraus lernen? Blöder Test, irgendwie zu sehr ich-bezogen.

Was ist das überhaupt für ein Test, bei dem man in einen Spiegel schauen soll? Hat sich diesen Test von Bewußtsein jemand ausgedacht, der vorher Schneewittchen gelesen hat?

Selbst unser Gehirn ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht das größte neurale Netz auf der Erde. Die Netzwerke in den 30cm unter der Erdoberfläche, angefüllt mit Pilzen, Archaeen, Pflanzen und Bakterien erzeugen Netzwerke, die miteinander handeln, Vertragsbuch bestrafen und gemeinsam wachsen. Dort werden Informationen hin- und hergeschickt und verarbeitet. Das ist kein Gehirn wie unseres, aber wer sagt denn, dass alle ein Gehirn wie unseres haben sollen? Die Zahl der Verbindungen in der, wenn man so will, Hirnrinde des Planeten übersteigt die Zahl der Verbindungen in unserem Hirn mit Leichtigkeit.

Sind wir wirklich die dominanten Baumeister?

Aber wir ändern die Natur doch nach unseren Ansprüchen? Wir hauen Bäume um und bauen Straßen, legen Felder an, bauen Staudämme und Pyramiden. Manches sieht man sogar vom Mond aus. Sicherlich ist das doch ein Beweis unserer Überlegenheit?

Nun, die Dinge, die man eventuell vom Mond aus sehen kann, sind die Pyramiden und die Große Mauer (wobei das nicht ganz geklärt ist, ob es wirklich stimmt, aber es wird oft angeführt). Die Pyramiden wurden vor ca. 5000 Jahren gebaut und die Große Mauer vor mehr als 1000 Jahren. Warum die nun genau der Beweis dafür sind, dass wir so toll sind, ist mir nicht klar, wo wir doch alle Generationen vor unserer auserwählten eigenen für minderbemittelte Vollidioten und Steinzeitmenschen halten. Aber die haben diese Dinger gebaut und wir ackern uns einen ab am Berliner Flughafen. Wären wir noch immer so mächtig, könnten wir doch sicherlich was ähnlich Großes bauen?

Termiten bauen Termitenbauten. Und im Vergleich zu ihrer Körpergröße sind diese Bauten viel, viel größer als der größte Wolkenkratzer, den die Menschheit jemals gebaut hat. Die machen das ohne MS Projekt, ohne Smartphones, ohne Meetings, ohne Verträge, ohne Anwälte, ohne Geld. Aber ihre Behausungen sind größer als unsere, haben geregeltes Klima, und sind am Ende sogar nachhaltig, sprich: landen ohne große Folgen wieder im globalen Stoffkreislauf.

Aber es kommt noch schlimmer: aus weitaus größerer Entfernung als vom Mond können sich Aliens die Spektrallinien unseres Planeten anschauen. Sie werden dort ziemlich viel Sauerstoff finden, das zweitaggressivste chemische Element nach Flur im ganzen Universum. Wie kann es sein, werden sie sich fragen, dass auf diesem Metall- und Mineralklumpen ständig ein Gas in der Atmosphäre rumschwirrt, dass doch eigentlich sofort versucht, Verbindungen mit anderen chemischen Elementen einzugehen?

Einzige logische Erklärung über galaktische Zeiträume: da leben irgendwelche kleinen Mistviecher, die ständig dieses aggressive Gas erzeugen und die Atmosphäre nachfüllen. Auf der Erde sind das hauptsächlich Pflanzen und Mikroorganismen in den Weltmeeren. Deren Bauwerk ist die atmosphärische Hülle unseres Planeten und ihre Wirkung erkennt man nicht nur vom Mond, sondern quer über die Milchstraße. Wer ist nun also der größte Bauherr und Weltenveränderer auf der Erde? Unsere mickrigen Bauwerke sind nichts im Vergleich zu der Macht des Lebens auf der Erde und in den Ozeanen.

Gleichberechtigt und mit Respekt

Und damit sind wir beim Punkt angekommen: würden wir uns nicht als die einzigen Wesen mit Selbstbewußtsein sehen und uns deswegen für die schlausten halten und würden wir die Natur nicht als unser Eigentum betrachten, dass wir nach Belieben beherrschen dürfen, dann würden wir vielleicht mit den anderen Tieren auf der Erde und mit der Natur / Erde selber gleichberechtigt und voller Respekt umgehen. Die Folgen unseres Handelns wären nachhaltiger.

Ist alles eine Sache der Einstellung und des Umgangs mit der eigenen Eitelkeit. Und die fängt an, indem wir uns eben nicht als die Beherrscher der Natur sehen, sondern mehr als Teil eines globalen Kreislaufs.